Professor Dr. Ulrich Menzel im Interview mit Yvonne Hofstetter

"Die Chinesen leben eine andere Form von Globalisierung"

China globalisiert sich und bietet eine Systemalternative zum Westen.

Braunschweig, 07. März 2018

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Irgendwann in diesem Zeitfenster [2030-2035] wird das chinesische Sozialprodukt das US-amerikanische Sozialprodukt übertreffen.


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Bislang war es so, dass sich die chinabezüglichen Prognosen eher früher erfüllt haben als später.


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Ich sehe nicht, dass die Chinesen in Afghanistan oder in Usbekistan in der Lage sein werden, für die Sicherheit auf der Landroute zu sorgen.


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Auf der Seeroute? Das kriegen sie hin. (...)


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Die Chinesen praktizieren eine andere Form von Globalisierung. Die Gleichsetzung von Globalisierung und Ausbreitung des Kapitalismus über die ganze Welt - und zwar nach neoliberalem Muster - ist falsch.


Me-37.1

Ricardo unterscheidet drei Produktionsfaktoren: Kapital, Arbeit und Boden. Die drei Vergütungen des Einsatzes dieser drei Produktionsfaktoren sind Profit, Lohn und Rente. Profit ist die Vergütung des Kapitaleinsatzes, Lohn das Entgelt für den Arbeitseinsatz, Rente für den Bodeneinsatz. Wobei Boden auch alles meint, was unter dem Boden liegt. Also nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch den Bergbau.


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Rentenbasierte Systeme, dagegen hat Ricardo gekämpft, hat als wesentliche Einnahmequelle die Rente. Im Feudalismus war das so. Die Grundherren stellen den Boden zur Verfügung, aber bewirtschaften den Boden nicht selbst. Das tun die Bauern und zahlen dafür eine Rente. Einkünfte entstehen so nicht aus unternehmerischer Tätigkeit, sondern [aus] politischer Kontrolle über wirtschaftlich relevante Ressourcen. (...)


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Wenn ich in der Logik des Profits operiere, muß ich einen Teil der Einnahmen investieren, um die Arbeitsproduktivität zu steigern, am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei der Logik des Profits ist die Quelle des Einkommens letztlich eine überlegene Wettbewerbsfähigkeit.


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[Sie beziehen Einkommen] nicht aus unternehmerischer Tätigkeit, sondern [aus] politischer Kontrolle über wirtschaftlich relevante Ressourcen. Auch die Entwicklungshilfegelder sind ein Renteneinkommen, selbst die Katastrophenhilfe ist noch ein Renteneinkommen, wenn am Hafen mit der Kalaschnikow ein Teil der Hilfslieferungen abgezweigt wird für einen Warlord; dafür darf die Hilfsorganisation anschließend mit der anderen Hälfte irgendwas machen. [Das Abzweigen ist] auch ein Renteneinkommen. Aus dieser Logik [der Rente] muss ich einen Teil der Rente in den Machtapparat investieren. Also die Polizei, den Geheimdienst, die Armee, die verschiedenen Präsidentengarden, um, und das ist das Entscheidende, die Macht über die rententrächtigen Ressourcen zu behaupten.


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Wir haben in einem großen Teil der Welt nicht die Logik des Profits am Werk, sondern die Logik der Rente. Und das Rentensystem globalisiert sich. Die Gegenthese lautet also: Globalisierung heißt nicht Ausbreitung des Kapitalismus nach neoliberalem Verständnis, sondern Ausbreitung der rentenbasierten Systeme. Dabei ist China, gleichermaßen wie Russland, ein Vorreiter.


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Globalisierung funktioniert auch - vielleicht sogar mehr und besser, perspektivisch ist das noch nicht entschieden -, über Ausbreitung von Rentensystemen. Man muss immer wieder einen Teil der Renteneinnahmen dafür ausgeben, die politische Kontrolle [aufrecht zu erhalten]. Und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern, wenn sich [die Logik der Rente] globalisiert, auch anderswo.


Me-78

Man hatte sich auf die Trittbrettfahrerposition zurückgezogen: "Wir brauchen keine hohen Militärausgaben. Das machen die Amerikaner. Wir machen lieber Sozialpolitik und konzentrieren uns auf die zivilen Sektoren." Da sind wir ja auch erfolgreich, gar keine Frage.


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Die drei [deutschen] Kernbranchen sind der Fahrzeugbau, der Maschinenbau und die chemische Industrie. Da muss man führend bleiben. Aus dem Auto soll ein Computer werden. Nicht mehr der Maschinenbauer leistet das Entscheidende, sondern der Informatiker oder der Elektrotechniker.


Me-118

Renteneinkommen sind auf dem Vormarsch, weil sie letztlich auf politischer Macht basieren. Sie sind auch eine Erklärung dafür, warum sich die Logik des Profits in vielen Ländern nicht entwickelt. Die Logik der Rente erweist sich als stärker als die Logik des Profits.


Me-123

Die USA ziehen sich aus vielen Teilen der Welt zurück. Das kann objektive Gründe haben, etwa: "Wir können das nicht mehr alles", oder eine Strategieänderung: "Wir wollen jetzt wieder einen Neo-Isolationismus. Wir sind stark genug, uns selbst zu genügen. Wir haben alles. Wir brauchen die Welt nicht." Das war immer wieder eine starke Position in der amerikanischen Innenpolitik. Momentan schlägt das Pendel in Richtung Neo-Isolationismus aus, weil es eben nicht nur das Silicon Valley oder Kalifornien gibt, das zu den Gewinnern gehört, sondern auch den alten Industriegürtel um die großen Seen herum.


Me-137

Die Logik der Rente setzt voraus, dass man die politische Macht behält.


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