Dr. Heiko Borchert im Interview mit Yvonne Hofstetter

"Hybridität ist ein Hype"

Wer jede Einflußmaßnahme eines anderen Staates als "hybrid" bezeichnet, riskiert die inhaltliche Aushöhlung des Begriffs.

Luzern, 03. April 2018

                 F-8

Hybride Bedrohungen sind im zunehmenden Cyber-Kontext Advanced Persistent Threats (APTs). Das Problem ist, kein Mensch weiß, wann oder ob er zum Ziel einer hybriden Bedrohung geworden ist.


F-13

In dem Moment, in dem ich etwas "Krieg" nennen kann, habe ich eine Zuständigkeit der Streitkräfte.

Jedes Label hat eine Genese. Wem nutzt es, dass ich einen Angriff nur "hybrid threat" nenne, und wem nutzt es, dass ich ihn "hybrid warfare" nenne? Oder "cyber warfare"? Dahinter steht immer ein politische Eigeninteresse - in wessen Zuständigkeit fällt das Label?


F-17

Das heißt: "Hybrid" ist ein Hype. Warum? Das heißt, es besteht die Tendenz, alles und jedes als "hybride Gefahr" zu bezeichnen. Am Schluss brauchst du ein Label, das politisch verträglich und akzeptiert ist und mit dem du Dinge tun kannst. Das ist ein Risiko, weil damit der Begriff inhaltsleer wird.


F-19

Aus der Sicht derer, die den Begriff «hybrid» in die Welt gesetzt haben, macht seine Ambiguität genau den Reiz aus – Du brauchst die Deutungshoheit über die Phänomene, um den Begriff zu erläutern. Und die Selektion der Phänomene wird über die Weltanschauung massgeblich bestimmt.


F-32

Heute kämpft du gegen Ideen, die du dir selbst gezüchtet hast.


F-33

Es könnte ein, dass wir teilweise mit einer Gefahr konfrontiert werden, die wir selbst entwickelt und konzipiert haben, um andere Regionen zu destabilisieren, die ideologisch nicht auf unserer Linie waren. 


F-34

Heute, 50 Jahre später, dreht sich das Blatt der Geschichte, und wir stehen dem gegenüber, was wir selbst angezettelt haben.


F-94

Den Wettbewerb um Deutungshoheit halte ich für eines der wichtigsten - wenn nicht das zentrale - Feld der Auseinandersetzung. Wir sind alle perzeptionsgetrieben. Die wenigsten von uns hinterfragen ihre eigenen kognitiven Filter. Was ist "hybrid warfare"? Im Moment nichts als ein Wettbewerb um Deutungshoheit. Entweder ich interpretiere in die eine oder die andere Richtung. Ist es kriegerisch, hat es auch einen Andockpunkt bei den Streitkräften. Ein anderer Punkt, den ich viel mehr betonen würde, ist der wirtschaftliche Effekt.


F-115

Das ist das Schwierige an unser heutigen Diskussion, und es bringt uns zurück zum Nahen Osten. Es findet eine generelle Talibanisierung der politischen Kommunikation statt. Wer wahrgenommen werden will, schafft das nur noch mit einem Instrument: Das ist die Provokation.


F-116

Deshalb gibt es keinen konsensorientierten Politiker mehr, sondern nur noch Politiker, die extrem sind. Wladimir Putin ist ein Extrem, Xi Jinping ist ein Extrem, [genau wie Donald Trump] Mohammed bin Salman und auch Reccep Tayyip Erdogan.


F-145

Zurück zu "hybrid": Knackige These - unser eigenes Effektivitäts- und Effizienzdenken ist der stärkste Antrieb dafür, dass wir nicht mehr resistent sind gegen "hybrid". Uns fehlt die Widerstandskraft.


F-147

Das spannendste Beispiel für Leistungsindikatoren (Key Performance Indicator, KPI) ist die gegenwärtige Entwicklung in Saudi Arabien. Sie zeigt das Spannungsfeld zwischen dominanter Kultur und Effizienz-/Effektivitätsdenken. Zur Vision 2030 gibt es einen Implementation Plan mit knapp 400 KPI. Das Papier trägt deutlich die Handschrift der westlichen Beratungsunternehmen, die daran gearbeitet haben. Aber in Saudi-Arabien dominiert nach wie vor eine Kultur der Loyalität. Loyalität ist «slack driven» - nicht KPI-driven. Daher ist die Transformation in Saudi-Arabien gegenwärtig wohl das spannendste soziale Experiment – mit weit über das Land und die Region hinausgehenden Folgen, wenn es scheitert.


F-149

Dass [Drohnen-] Schwärme das strategische Gleichgewicht verschieben, halte ich für eine unbewiesene These.


F-150

Unsere Diskussionen sind zu technologielastig. Der [Drohnen-] Schwarm per se führt noch nicht zu einer Verschiebung des strategischen Gleichgewichts. Das ist wie in der Wirtschaft. Nicht die Technologie, sondern das Geschäftsmodell ist entscheidend. Es sind die "concepts of operations", die entscheidend sind. Der Akteur, der als erstes versteht, Schwärme disruptiv - diskontinuierlich - einzusetzen, der macht den Unterschied.


F-151

Wenn aber alle in ihrer Logik dem amerikanischen Vorbild folgen, dürften die Amerikaner nur dann überrascht sein, wenn etwas Diskontinuierliches käme. Aber weil alle die Amerikaner kopieren, können wir eigentlich nicht überrascht sein.