„Global funktioniert Kooperation besser als Konkurrenz“

Zur Neuerscheinung von Andreas Westphalens Die Wiederentdeckung des Menschen

Katy Perry: 103 Millionen Twitter-Followers. Donald Trump: 60 Millionen. Manchester United: 19 Millionen. Mesut Özil hat immerhin 5 Millionen mehr und kommt auf 24 Millionen Follower.

Wenn der Mensch in der Ersten Industrialisierung in Bezug auf seine Arbeit objektiviert, also menschliche Arbeit wie eine Ware auf dem Markt gehandelt wurde, wird der Mensch heute ausgebeutet, wenn sein Profil bewertet und gehandelt wird. Dabei ist die – letztlich monetäre – Bewertung der Twitterprofile nur ein Ausdruck von Wettbewerb und Marktdisziplin. Im Wettbewerb mit anderen legt sich eine Person dann ein Profil zu, das einen größeren pekuniären Wert erfährt als andere, wenn die Person zum digitalen „Hero“, zum „Influencer“ wird. Mehr Likes, mehr Retweets, mehr Followers steigern das finanzielle Potenzial des modernen Menschen.

 

Kein Profit ohne Wettbewerb

Tatsächlich ist Wettbewerb integraler Bestandteil neoliberalen Wirtschaftens. Die Wirtschaft funktioniere am besten, effektivsten, fairsten auf der Basis des freien, nicht regulierten Marktes, ein Mythos, dem auch Andreas von Westphalen in seinem jüngst erschienenen Buch Die Wiederentdeckung des Menschen (Westend Verlag 2019) nachgeht. Denn die Wirklichkeit ist eine andere. Statt Wettstreit herrschen globale Monopole oder Oligopole, am besten zu beobachten in der Digitalisierungsindustrie. Amazon? Längst systemrelevant nicht nur für das Internet, sondern auch für die herstellende Industrie und „too big to fail“. Taxischreck Uber? Trotz milliardenschwerer Quartalsverluste eines der wertvollsten Digitalunternehmen, dessen Finanzkraft, bewirkt durch seine Investoren, ganze Transportdienstleistungsmärkte zerstört. Technologie war immer Treiber des Profits. Wer sich die Digitalstrategien der Bundesregierung näher anschaut, stellt fest, auch sie haben größere Wettbewerbsfähigkeit zum Ziel. Denn sie ist die Quelle des Profits, wenigstens nach westlichem Verständnis.

 

Homo oeconomicus?

Andreas von Westphalen hat sich die Frage gestellt, ob der Mensch tatsächlich für den kapitalistischen Konkurrenzkampf geschaffen ist – ob er über eine egoistische, rücksichtslose und gewinnsüchtige Natur verfügt – oder ob das menschliche Wesen nicht vielmehr zu sozialem, empathischem, altruistischem Handeln oder gar heldenhaftem Mut neigt, um anderen Menschen zu helfen und gemeinsam etwas zu erreichen. Sein Buch kreist um die menschliche Natur: Ist der Mensch eher Bruder oder doch Rivale?

Bevor er die Frage beantwortet, wägt er die menschliche Beschaffenheit gegen dessen Erziehung im Kapitalismus und gegen den Einfluss der Gene ab. Mit weniger harschen Worten, als sie der Vatikan gewählt hat: „Diese Wirtschaft tötet“ (Papst Franziskus, 2013), verurteilt auch er die „nicht weniger bösartige“ Ideologie des „materialistischen Konsums“, bei der „die negativen Auswirkungen auf den Menschen für völlig unbedeutend gehalten werden“ (Papst Johannes Paul II, 1999). Doch die Erziehung zum Kapitalismus, der schon in die Schule Einzug hält, habe Konsequenzen für das gesellschaftliche Miteinander. Dabei wäre Kooperation so dringend nötig, um die globalen Probleme anzugreifen, die unsere Zukunft und die unserer Kinder bedrohen. Das Streben nach Gewinn, aber auch nach geopolitischer Überlegenheit und der Herrschaft über wirtschaftlich relevante Ressourcen, wie uns die Zukunft noch deutlicher weisen wird, hat unseren Planeten längst an seine Grenzen gebracht. Die Hoffnung bleibt indes, dass die Vernunft siegt und das geschieht, was Andreas von Westphalen beschwört: Lernen und üben. Mehr Zusammenarbeit, mehr Empathie und größeres Vertrauen.

 

Andreas von Westphalen. (2019). Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen. Frankfurt am Main: Westend Verlag GmbH.