Big Data: Wer beherrscht wen?

Eine Bürgerumfrage vom Sommer 2015 hat ergeben: 92 Prozent der Befragten hat den Begriff Big Data noch nie gehört. Was ist Big Data? Wird unsere Gesellschaft künftig von intelligenten Maschinen auf Basis von Massendaten gesteuert?

 

An Big Data stammt nur die Wortschöpfung aus diesem Jahrzehnt. Doch was sich technologisch dahinter verbirgt, ist keineswegs neu. Seit über zwanzig Jahren sammeln militärische Systeme wie ein AWACS Massendaten und analysieren sie, um einen Lageüberblick zu erhalten. Dazu »fusioniert« das System alle vorhandenen Sensordaten. »Multisensor-Datenfusion«, kurz: Datenfusion, heißt ein solch leistungsfähiges Computerprogramm. Beschrieben wird der Datenfusionsalgorithmus in der Sprache der Mathematik und realisiert mit Künstlicher Intelligenz. Nur Künstliche Intelligenz kann Massendaten in Echtzeit verarbeiten.

 

Doch bei der Situationsanalyse bleibt es nicht: Hat die Künstliche Intelligenz die Lage berechnet, entscheidet sie autonom, was demnächst zu tun ist. Beim selbstfahrenden Auto kann man sich das gut, wenn auch stark vereinfacht, so vorstellen:

»Stationäres Objekt voraus. Mobiles Objekt rechts«, meldet die Sensorik des Autos. Die Datenfusion erstellt das Lagebild:

»Stationäres Objekt klassifiziert: Mit n Prozent Wahrscheinlichkeit Fußgängerampel. Mobiles Objekt klassifiziert: Mit m Prozent Wahrscheinlichkeit Fußgänger. Geschätzte Bewegungsrichtung: Straßenüberquerung.«

Beim Lagebild wird das Verhalten des Fußgängers vorausberechnet, prognostiziert. Daraufhin könnte die Datenfusion entscheiden:

«Vollbremsung ausführen.«

 

Dieser letzte Schritt ist eine Aktion, die auf die Verkehrssituation reagiert und mit ihr rückgekoppelt ist. Jene Rückkopplung war das revolutionär Neue der Disziplin, auf der die Datenfusion wissenschaftlich fußt: der Wissenschaft von Information und Kontrolle, kurz: Kybernetik. Ihr Ziel: die Steuerung der Zukunft. Wen wundert es dann noch, dass die Entscheidungsebene der Datenfusion auch als »Kontrollstrategie« bezeichnet wird. Überwachung und das Sammeln von Massendaten dienen nur einer effektiven Kontrollstrategie. Daran, was Menschen zu verbergen haben, haben die Betreiber von Kontrollstrategien kein Interesse. Sie wollen unsere Zukunft beeinflussen, die Vergangenheit bedeutet ihnen nichts.

 

Längst haben kommerzielle Unternehmen das Prinzip der Kontrollstrategie für sich entdeckt und wenden es nicht nur auf die Dinge des Lebens – Roboterautos, Anlagensteuerungen –, sondern auf Menschen an. Ihr erklärtes Ziel: die globale Konsumentensteuerung. Das hat Werbung immer versucht, werden Sie einwenden. Doch dass unsere Internetlieblinge dennoch anderes im Schilde führen könnten, zeigt das Facebook-Psychoexperiment aus dem Jahr 2012. Facebook hatte bewusst die Gefühle von 689,000 Anwendern manipuliert. Positive Meldungen wurden unterdrückt, negative Schlagzeilen beherrschten die Facebook-Chroniken. Die Anwender blieben deprimiert zurück. Das ist Kontrollstrategie in Reinkultur, und sie ist asymmetrisch. Wir wissen nichts von der Manipulation und bemerken sie auch nicht. Den schokoladegefüllten Regalen der Supermarktkasse kann sich wenigstens noch entziehen, wer diszipliniert genug ist.

 

Wer verhindern möchte, von einer Kontrollstrategie algorithmisch manipuliert zu werden, dem sei Datensparsamkeit empfohlen. Eine schlechte – unvollständige, veraltete – Datenbasis hat noch nie zu einer guten Kontrollstrategie geführt. Zahllose Profis, die Data Scientists, verzichten auf liebgewonnene Bequemlichkeiten, darunter die Nutzung von Kreditkarten, Smartphones, Cloud Services – und auf FacebookWhatsApp&Co. sowieso:

»Wir wissen, was mit unseren Daten passiert«, mahnen sie. Dabei wird die Datenabstinenz immer schwieriger, weil wir zunehmend nicht-kooperativ überwacht werden. Doch versuchen Sie es wenigstens, bis die offenen rechtlichen Fragen rund um die algorithmische Steuerung von Konsumenten und Bürgern geklärt sind. Bis dahin liegt Ihre Freiheit nur in Ihren eigenen Händen.