Keine klare Position der Weltgemeinschaft zu Bedrohungen durch Digitalisierung

In ihrem neuesten Buch Der unsichtbare Krieg betrachtet Yvonne Hofstetter die fortschreitende Digitalisierung im Lichte der Außenpolitik.

 

Hintergrund: Die zunehmende Vernetzung hat längst unsere Kommunikation, unsere Arbeit, unser ganzes Leben verändert. Weil sie sich weiter als Internet of Everything ausbreitet, wird das Netz aus Menschen und Dingen immer wertvoller – ökonomisch, aber auch politisch und militärisch. Immer mehr Regierungen nutzen die Digitalisierung für politische Einflussnahme auf andere Staaten oder für militärische Angriffe.

 

Die Hypothese: Die Digitalisierung verschiebt das strategische Gleichgewicht der Staaten weg von der Defensive hin zur Offensive. Online-Sabotage, Subversion oder der Dual Use kommerzieller Produkte - etwa von Drohnen - ermächtigt Einzelne, kleine Gruppen oder konventionell schlecht gerüstete Staaten, selbst hoch entwickelte Nationen mit großem Erfolg und hoher Zerstörungskraft bei gleichzeitig geringen Kosten anzugreifen. Abschreckung ist kaum möglich, denn sie beruht auf der Zweitschlagfähigkeit und der Möglichkeit, sich gegen einen Angriff wirkungsvoll zu verteidigen. Weil die Digitalisierung aber Anonymität erlaubt, lässt sich ein Angriff nicht immer bis zum Verursacher zurückverfolgen. Hofstetter schreibt:

  • »[D]er Cyberspace, der Staaten, nicht staatliche Akteure und (intelligente) Maschinen in einem einzigen, neuen Ökosystem zusammenführt, [ist] Ersatz für den Krieg selbst.«

  • »Über einem Zweitschlag ohne validierte Attribution hängt das Damoklesschwert des potenziellen Kriegsverbrechens.«

  • »Die internationale Gemeinschaft [hat] noch keine konzeptionelle Eindeutigkeit geschaffen…, die eine klare Reaktion auf die neuen Bedrohungen erlaubt.«

Aktuelles Beispiel: Am 14. September 2019 hat Saudi-Arabien einen verheerenden Angriff unbemannter Drohnen erlebt. Nicht sofort stand fest, wer für den Angriff verantwortlich war. Während sich jemenitische Huthi-Rebellen zum Angriff bekannten und der Iran jede Beteiligung abstritt, machten die USA hingegen den Iran als Schuldigen aus. Doch wenn der Angreifer nicht feststeht, ist Verteidigung schwierig.

 

Problem: Digitale Angriffe unterlaufen die Verteidigungsanlagen der Staaten. Auch in Saudi-Arabien, das hoch gerüstet ist, hat die Flugabwehr die neue Bedrohung aus der Luft nicht erkannt. Im Falle eines erfolgreichen Angriffs – auch im „Cyberspace“ – ist die Attribution erschwert und verunmöglicht die Verteidigung eines Staates gegen den Angriff.

 

Fazit: Kleinere Staaten, die bislang nur eine untergeordnete Rolle neben dem Kreis der Großmächte, Nuklearmächte, G4-, G7- oder G20-Staaten gespielt haben, können heute durch die Digitalisierung in bestimmten Bereichen dominieren. Die zunehmende Vernetzung ermächtigt immer mehr Akteure und gibt ihnen wirksame Mittel von Macht und Gewalt an die Hand. Es ist unausweichlich, dass die Digitalisierung die geostrategischen Machtverhältnisse genauso fundamental verändern wird, wie es schon in Zeiten der ersten industriellen Revolution zu beobachten war.

 

Weiterlesen: Yvonne Hofstetter. (2019). Der unsichtbare Krieg. München:  Droemer-Knaur (Erscheinungstermin 3. Oktober 2019).